Google „lügt“ doch nicht. Oder basiert UN Kampagne auf falschen Tatschen?

Was Google mit Qualitätsjournalismus am Hut hat und warum Werbung einfach Werbung bleibt.

In letzter Zeit wird heftig über „Content Marketing“ diskutiert. Nicht nur deshalb, weil es als Buzz-Word nun endlich „Social Media“ abgelöst hat. Auch weil es ein weiterer Sargnagel für die klassische Verlagsbranche (hierzu zähle ich jetzt auch mal die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten) sein wird. Und genau aus dieser Richtung formieren sich immer wieder Stoßtrupps aus Qualitätsjournalisten und greifen beharrlich in die Diskussion ein.

Bingo!

Schnell werden weitere Buzz-Words auf den Tisch gepackt: „Native Advertising“ zum Beispiel oder die altbekannten „Advertorials“. „Schleichwerbung“ schummelt sich in die Diskussion ebenso wie die Angst vor dem Untergang unabhängiger Berichterstattung. Die digitale Welt ist eine schlechte – zumindest für Inhalte mit Qualität. Wie diese definiert wird? Das erklären die Stoßtrupps natürlich aus ihren eignen Reihen. Versteht sich.

Der preußische Geist und Wikipedia

Aber diese Qualitätsbrille, die manch einen ganz blind werden lässt, haben sich schon längst andere aufgesetzt. Zum Beispiel die sogenannten Wikipedianer, mit denen man sich tagelange Diskussionen über die Wertigkeit von Quellen liefern kann. Natürlich haben (Zeitungs-)Verlage und deren digitalen Ableger keine wirtschaftlichen Interessen, sind also als Quelle valide. Corporate Blogs (aber eigentlich alle Blogger, denn einen Blog kann ja schließlich jeder aufsetzen) dagegen verfolgen ganz klare wirtschaftliche Interessen und lügen deshalb vor sich hin wo sie nur können. Schon klar. Nur damit ich das selbst nicht vergesse. Die digitale Welt ist vielleicht doch eine schöne. Wenigstens sorgt sie für klare Verhältnisse.

Qualitätsjournalismusindustrie

Nun, ab und an lese ich auch Produkte dieser Qualitätsjournalismusindustrie. Pardon, Berichterstattung von unabhängigen Qualitätsmedien. Das mache ich sogar ab und an am Frühstückstisch, mit „richtig Papier“ und sogar einem Offline-Abo. Zudem lese ich in meinem – ich muss es zugeben – digitalen Reader auch Fachmedien, denn in meinem Beruf muss man in „Real Time Up To Date“ sein. Wir verstehen uns!

Twitter, Ogilvy und Google

Und da stoße ich doch tatsächlich auf eine Headline in meiner täglichen Twitterlektüre, die mich etwas hellhörig werden lässt: „Ogilvy entlarvt mit Google Search weltweiten Sexismus“. Die unterschiedlichen Funktionsweisen von Google sind ja doch einigermaßen schwer zu erfassen. Also prüfe ich das nochmals nach und schreibe einen Blogartikel mit dem Titel: „Ogilvy entlarvt… gar nichts!“. Über unterschiedliche Wege (Twitter, Facebook) versuche ich, die Beteiligten anzusprechen, doch keiner äußert sich. Klar, die UN antwortet ja nicht jedem. Und Ogilvy erst recht nicht. Und die W&V hat ebenfalls besseres zu tun. Kein Problem. Verstehe ich ja. Ich bin auch beschäftigt.

Im Grunde geht es ja auch nur darum, dass die Kampagne vorgibt, die Wirklichkeit widerzuspiegeln, das aber gar nicht tut. Nun ja – wie gesagt – die Funktionsweisen von Google sind eben schwer zu erfassen.

Das Hause Ogilvy & Mather wird dabei so zitiert: „Diese Kampagne nutzt die größte und beliebteste Suchmaschine der Welt, um zu zeigen, dass die Ungleichbehandlung von Geschlechtern ein weltweites Problem ist“. (W&V 21.10.2013)

In diesem Falle geht es um die „automatische Vervollständigung“ von Googlesuchen. Das sind die Suchvorschläge, die einem Nutzer gemacht werden, wenn er dabei ist, eine Suchanfrage zu stellen. Die Kampagne behauptet, dass bei bestimmten Keywords die automatische Vervollständigung, die ja auf der Masse an Suchanfragen zu einem Thema basiert (also repräsentativ sein soll), den weltweiten Sexismus sichtbar mache. Auf Plakaten sieht die entsprechende Visualisierung richtig beeindruckend aus.

Wie buchstabiert man „selbstreferentiell“?

Nur prüft man das nach, dann stimmt es gar nicht. Es wird sogar noch besser: Die ausgewählten Suchphrasen erscheinen nur in der „Suggested Search“ (wie die automaische Vervollständigung auf Englisch genannt wird), weil einige übermotivierte Werber auf ihr eigenes gespeichertes Suchverhalten reingefallen sind – nicht repräsentativ und erst recht nicht global. Die „Suggested Search“ greift im eingeloggten Zustand (also mit aktiviertem Google-Konto) u.a. auf die eigenen Suchanfragen als Vorschlag zurück. Die Sendung mit der Maus würde nun sagen: Das nennt man „selbstreferentiell“.

In diesem Zusammenhang werden oft gegooglte Phrasen nämlich tatsächlich „Google-Realität“. Die darf man nur nicht mit der „echten Realität“ verwechseln. Eine schöne Zusammenfassung kann man übrigens hier finden: „Who put all that sexism into Google’s Autocomplete?“ (An dieser Stelle möchte ich gleich vorweg nehmen: Nein, ich bin kein Männerrechtler!)

Viele „Qualitätsmedien“ greifen die Kampagne natürlich gleich auf, überprüfen nichts und tragen zur „Google-Realität“ bei… z.B. die Süddeutsche, der Stern, der Freitag und sogar das Auswärtige Amt.

Nochmals auf ein klares Wort: Die UN-Kampagne basiert NICHT auf Zahlen, die eine Aussage auf die „tatsächliche Realität“ zulassen. Das ist WERBUNG!

Qualität von Content ist kein Merkmal von bestimmten Medien

Was möchte ich mit dieser kurzen und vielleicht etwas polemischen Geschichte zeigen? Qualität von Content ist kein Merkmal von bestimmten Medien, Institutionen oder Unternehmen. Ich habe über das Thema geschrieben, weil ich mich angesprochen gefühlt habe. Ich habe es auf unserem Corporate Blog platziert, weil unsere Markenwerte mich dazu auffordern. [Und ich schreibe diesen Artikel für die HuffPostDE, weil ich der Meinung bin, Qualitätsjournalismus braucht keinen richtigen Platz, sondern nur richtige Menschen]*. Willkommen im „digitalen Wandel“!

Übrigens: Ein kleines Webformat – die Wochenwebschau – wurde noch auf die Geschichte aufmerksam. Immerhin ein Medium des digitalen Qualitätsjournalismus. An der Reichweite müssen die halt noch arbeiten. Hallo, ist da draußen jemand? Indessen rollt die UN die Kampagne weiter aus, weil sie so erfolgreich ist. Herzlichen Glückwunsch kann ich da nur sagen!

*nach gefühlten 100 Versuchen und etlichen Kontakten mit HuffPostDE habe ich es aufgegeben, einen Autorenaccount zu ergattern und schreibe dann doch für unseren eigenen Blog.

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Photo by Mitchell Luo on Unsplash

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